"Nur Du allein kannst es schaffen,
doch Du schaffst es nicht allein."
Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel werden ebenso wie der Alkohol zur Bewältigung von Belastungssituationen und zur Reduzierung von Spannungen eingesetzt. Bei dem Medikamentengebrauch beziehungsweise -missbrauch ist allerdings die Verbindung zu psychischen und psychosomatischen Symptomen und Erkrankungen sehr groß (Ängste, Schlafstörungen, chronische Schmerzzustände, Depressionen). Häufig liegen der Medikamenteneinnahme gesundheitliche Beeinträchtigungen zu Grunde, so dass sie als Therapeutikum zur Wiederherstellung des gesundheitlichen Wohlbefindens eingenommen werden.
Der Gebrauch von Alkohol ist dagegen stärker auf Spannungsreduzierung und Belohnung (Gratifikation) ausgerichtet. Medikamente haben die Funktion, die Leistungsfähigkeit trotz Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus werden sie zu Manipulationen von Gefühlen und Stimmungen eingesetzt, in dem sie Wut-, Trauer-, Angst- und Ohnmachtsgefühle dämpfen sollen. Frauen erwarten von den Pillen außerdem entlastende Abgrenzung gegenüber familiären und beruflichen Anforderungen. Psychisch wirksame Medikamente sollen symbolisch die Unterstützung und Kraft geben, die Frauen von ihrer Umgebung häufig nicht erhalten.
Der Medikamentenentzug ist zum Teil schwerer und langwieriger als der Alkoholentzug und sollte auf keinen Fall ambulant versucht werden. Die Entzugssymptome (beziehungsweise Ängste, Unruhe, Depressionen, Schlaflosigkeit, etc.) können sich auch lange Zeit nach der Entgiftung noch bemerkbar machen. Hinzu kommt, dass sich die Entzugssymptome nicht immer klar von den ursprünglichen Symptomen, die Anlass für die Medikamenteneinnahme waren, unterscheiden lassen. Das macht einen Medikamentenentzug so kompliziert.
Eine Abhängigkeit von psychisch wirksamen Medikamenten ist, sofern es sich nicht um Hoch-Dosis-Abhängigkeit handelt, eher unauffällig. Im Gegensatz zur Alkoholerkrankung, die sich neben einer Reihe von Symptomen vor allem durch die "Alkoholfahne" ausweist, ist das Krankheitsbild bei Medikamentenabhängigen eher diffus und setzt sich aus einer Vielzahl von Symptomen zusammen. Die Intensität der Symptombildung hängt von dem Zeitraum der Einnahme der Medikamentenstoffgruppe und der Höhe der Dosis ab.
Die folgenden Anhaltspunkte und Symptome sind Erfahrungswerte aus der Arbeit mit medikamentenabhängigen Frauen. Die Auflistung ist nicht vollständig. Der regelmäßige Gebrauch von psychisch wirksamen Medikamenten kann sich durch folgende Symptome äußern:Gleichgültigkeit gegenüber äußeren Anforderungen, Konzentrationsstörungen, die sich unter anderem darin äußern, dass das, was gelesen oder gedacht wurde, schnell vergessen wird. Persönlichkeitsstörungen, durch die die Selbsteinschätzung und -achtung sinkt und die Realitätswahrnehmung abnimmt.Überempfindlichkeit und Verletzbarkeit, geringe Distanzmöglichkeit gegenüber Situationen und Menschen. Aus Angst vor Verletzungen erfolgt häufig eine Überanpassung an die Umgebung und Menschen.Bei exzessiven Gebrauch von Schmerzmitteln kann es zu starken Dauerschmerzen und starken Magenschmerzen kommen. Das heißt, Menschen, die permanent über Kopfschmerzen und starke Magenschmerzen klagen, könnten eventuell schmerzmittelabhängig sein.Angst und Panikattacken: Viele Medikamentenabhängige leiden unter Angst und Panikzuständen, die selbst unter der Einnahme von benzodiazepinhaltigen Beruhigungsmitteln verstärkt werden können.
Der Verlust des Arbeitsplatzes und der Partnerbeziehung, Rückzug aus sozialen Zusammenhängen sind eher Merkmale der Hoch-Dosis-Abhängigkeit, während der alltägliche Gebrauch von Schmerz-, Schlafund Beruhigungsmitteln das Funktionieren im Alltag trotz vielfältiger körperlicher und seelischer Beschwerden "ermöglicht".